„Achtung, auf der A9 wird zwischen Bayreuth-Süd und Trockau in Richtung München geblitzt.“ Solche und ähnliche Meldungen gehören zum festen Serviceangebot fast aller Radiosender. „radioeins“ vom Rundfunk Berlin-Brandenburg hat 2019 entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Er verzichtet vollständig auf Warnungen vor Radarkontrollen zur Geschwindigkeitsüberwachung. Jan Vesper, Leiter der Nachrichten- und Serviceredaktion erklärt im Interview, wie es zu dieser Entscheidung kam, welche Veränderungen man sich davon erhofft und wie die Hörerinnen und Hörer darauf reagiert haben.
Als Sie im Mai 2019 Blitzer-Meldungen aus dem Programm genommen haben, war das mediale Interesse groß. Von einem mutigen Schritt war die Rede. Wie fielen die Reaktionen der Hörer aus, Herr Vesper?
Das Feedback unserer Hörerinnen und Hörer, aber auch vieler Medienkolleginnen und -kollegen, war riesig. Die meisten bezeichneten die Abschaffung der Blitzermeldungen im „radioeins-Verkehrsservice“ als überfälligen Schritt. Heute fragt niemand mehr nach Blitzern in unserem Programm. Und wir wissen, dass wir laut der aktuellen Mediaanalyse mehr Hörerinnen und Hörer haben als noch vor einem Jahr.
Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Jeder Programmentscheidung geht die Frage voraus: Ist ein bestimmter Inhalt relevant? Die Blitzermeldungen bei radioeins hatten ihre Bedeutung aus verschiedenen Gründen verloren. Unsere Hörerinnen und Hörer meldeten uns über die Verkehrshotline immer weniger Radarkontrollen. Ein weiterer wichtiger Grund waren aber auch die konstant hohen Zahlen schwerster Unfälle – sowohl in Berlin als auch in Brandenburg, die durch zu schnelles Fahren verursacht wurden.
Alleen und unangepasste Geschwindigkeit
2019 kamen in Brandenburg verhältnismäßig viele Verkehrsteilnehmer ums Leben – 50 pro 1.000.000 Einwohner. Nur in drei Bundesländern lag dieser Wert höher: Sachsen-Anhalt (62), Mecklenburg-Vorpommern (55) und Niedersachsen (54).
Ein Grund für die hohe Anzahl an Verkehrstoten: der hohe Anteil an Landstraßen in Brandenburg. Dort verunglücken besonders viele Verkehrsteilnehmer schwer. So wurde 2019 auf Außerortsstraßen (ohne Autobahn) in Deutschland mehr als jeder zweite Verkehrstote verzeichnet – 1.758 Getötete bzw. rund 58 Prozent aller im Straßenverkehr getöteten Personen. Häufigste Ursache bei Unfällen mit Getöteten: Fahren mit unangepasster Geschwindigkeit.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 zeigt außerdem: Vor allem die vielen Alleen in Brandenburg sind relevant für die hohen Unfallzahlen. So ging rund jeder dritte Verkehrstote in Brandenburg auf einen Zusammenprall mit einem Baum zurück.
Wenn Blitzer nicht gemeldet werden, wird also langsamer gefahren?
Die Überlegung war: Wenn ich nicht mehr weiß, wo geblitzt wird, riskiere ich erst gar nicht, übermäßig Gas zu geben. So fahre ich nicht nur vorschriftsgemäß, sondern auch gelassener.
Studien zeigen, dass angekündigte Geschwindigkeitskontrollen auch einen positiven Einfluss auf das Verhalten von Verkehrsteilnehmenden haben können und insgesamt für eine angepasste Geschwindigkeit sensibilisieren. Wie reagieren Sie darauf?
Die Idee von Geschwindigkeitsmessungen ist meines Erachtens: Einen möglichst flächendeckenden Kontrolldruck aufbauen, der abschreckend wirkt. Die Polizei selbst handhabt die Veröffentlichung von Kontrollstellen derzeit ganz unterschiedlich. In Berlin werden Blitzerstandorte nicht mehr an die Medien zur Veröffentlichung weitergereicht, in Brandenburg bisweilen schon. Ich kann mir grundsätzlich gut vorstellen, dass die Polizei ein Interesse daran hat, möglichst viele ihrer versteckt aufgebauten Blitzer nicht immer im Radio zu hören.
Positive Effekte durch Blitzerwarnungen?
Eine Studie der Deutschen Hochschule der Polizei hat die Auswirkung medialer Ankündigung von sogenannten Blitzer-Marathons auf das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer untersucht.
Hierbei zeigte sich: Nicht nur an den über Radio und andere Medien angekündigten Messstellen fuhren Autofahrerinnen und Autofahrer deutlich seltener zu schnell, sondern auch auf anderen Straßen im Umkreis.
Die Studie legt deshalb nahe, dass die mediale Begleitung von Geschwindigkeitsmessungen einen positiven Effekt auf das Einhalten der Geschwindigkeitsbegrenzungen hat, der auch über den Messzeitraum hinaus anhält.
Sie halten es demnach für sinnvoll, einzelne hart zu bestrafen und sie in die „Radarfalle“ tappen zu lassen?
Durchaus. Wenn ich an die sogenannten „Kudamm-Raser“ in Berlin denke oder Leute, die in Brandenburg die Landstraßen unsicher machen, teils unter Einfluss von Alkohol und Drogen, plädiere ich für schärfste Strafen.
Bisher folgen andere Radiosender Ihrer Entscheidung nicht und bringen weiterhin Blitzerwarnungen. Woran liegt das?
Gerade für die Hörerinnen und Hörer kleinerer Regionalradios gehören Blitzermeldungen aus Inhaltsmangel zu den Einschaltgründen. Darauf wollen viele Programme natürlich nicht verzichten. Radioeins ist hier einen eigenen Weg gegangen – und es war der richtige.
Bilder: shutterstock, radioeins