2017 starben 394 junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren bei Straßenverkehrs-Unfällen – 244 (61,9 Prozent) von ihnen in einem Auto. Keine Altersgruppe trifft es häufiger. Eine Spurensuche.
Am Wochenende wird gefeiert
Freitag, kurz vor Mitternacht im Zentrum von Lübeck. Es ist nasskalt, stürmisch, aber das hält die jungen Frauen und Männer nicht von der Party ab, die heute in einer Disco auf verschiedenen Dancefloors stattfindet.
House, Techno, Deutschrock – es ist laut, es ist eng, rund 800 Gäste drängen sich später in dieser Nacht in den Räumen.
Der hohe Anteil der jungen Autofahrer am Unfallgeschehen ist auf zwei große Risiken zurückzuführen, nämlich das Unerfahrenheitsrisiko und das Jugendlichkeitsrisiko.
Die Angst fährt mit
Vom Parkplatz dröhnt ein bulliger Achtzylinder-Sound herüber. Autos spielen bei vielen der jungen Gäste eine wichtige Rolle fürs Ego. Man zeigt gern, was man hat. Und kann.
Eine 22-jährige Partybesucherin schildert ihre Erfahrungen: „Vor ein paar Monaten bin ich mit einem Fremden mitgefahren – das erste und letzte Mal! Eigentlich ein netter Typ. Aber er wollte mir und meiner Freundin wohl beweisen, was für ein guter Fahrer er ist. Auf der Autobahn hat er gedrängelt, auf der Landstraße war er viel zu schnell. Und dabei hat er auch noch ständig an seinem Handy rumgespielt. Zum Glück ist nichts passiert.“
Ein guter Fahrer? Bei diesem verantwortungslosen Verhalten sich selbst, allen Mitfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber wohl kaum. Ein Missverständnis, dass bei jüngeren Menschen besonders häufig vorkommt.
„Das Unfallrisiko ist bei jungen Fahrern zwischen 18 und 24 Jahren deutlich höher als bei älteren Autofahrern“, sagt Torge Stelck vom Landespolizeiamt Schleswig-Holstein. Die Zahl der Verkehrsunfälle, die von jungen Fahrern verursacht wurden, blieb 2017 mit 49.281 annähernd auf dem Niveau des Vorjahres.
Auf Fehler hinweisen
Oftmals wollen junge Männer ihren Mitfahrern imponieren. Doch als Mitfahrer sind Sie nicht wehrlos. Weisen Sie den Fahrer auf seine Fehler hin. Erklären Sie ihm, dass Sie seinen Fahrstil als zu risikoreich empfinden und Angst haben. Ändert der Fahrer seine Fahrweise nicht augenblicklich, verlangen Sie einen sofortigen Stopp und steigen Sie – wenn möglich – aus. Grundsätzlich sollten Sie nur bei Personen mitfahren, die Sie kennen, deren Fahrstil Sie in Ordnung finden und die nüchtern sind.
Sind Sie mit mehreren Personen unterwegs, machen Sie schon beim Start aus, wer zurückfährt. Dieser Designated Driver trinkt dann weder Alkohol noch konsumiert er Drogen. Die Alternative ist das Taxi, das viele Gemeinden als sogenanntes Jugendtaxi oder Discotaxi anbieten.
Selbstüberschätzung und mangelnde Fahrpraxis
Dass junge Fahrer so überdurchschnittlich häufig an Unfällen beteiligt sind, sei auf zwei große Risiken zurückzuführen, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft: „Das Unerfahrenheitsrisiko und das Jugendlichkeitsrisiko.“ Zu wenig Fahrpraxis also. Und Selbstüberschätzung.
Besonders deutlich werden die Auswirkungen in der Nacht, vor allem am Wochenende.
Nächtliche Fahrten nach Discobesuchen steigern das Gefahrenpotenzial für Fahrer und Mitfahrer zusätzlich. Die Stimmung im Auto ist durch Alkohol und laute Musik angeheizt, nicht selten will der Fahrer seinen Mitfahrern durch hohes Tempo und einen aggressiven Fahrstil imponieren.
So wirkt Alkohol am Steuer
Der Gesetzgeber geht aus gutem Grund rigoros gegen Alkohol am Steuer vor. Die Auswirkungen berauschender Getränke sind am Steuer besonders fatal:
- Alkohol hat eine enthemmende Wirkung. Der Fahrer agiert deutlich risikobereiter.
- Die Motorik ist zunehmend eingeschränkt.
- Die Reaktionszeit nimmt deutlich zu.
Auch das Sehvermögen ist unter Alkoholeinfluss betroffen:
- Da sich die Pupillen bei Lichteinfall (Gegenverkehr nachts) nicht schnell genug verengen, ist der Fahrer stärker geblendet, als wenn er nüchtern fährt.
- Alkoholisierte Fahrer bekommen einen sogenannten Tunnelblick und können Objekte aus dem Augenwinkel nur schwer wahrnehmen.
- Entfernungen können nicht mehr richtig eingeschätzt werden.
- Die Sehschärfe lässt nach, das Umschalten von nah auf fern (und umgekehrt) dauert deutlich länger. Das Farbempfinden der Augen lässt ebenfalls nach, wodurch aufleuchtende Bremsleuchten nicht so sehr wie im nüchternen Zustand als Warnung empfunden werden und auch rote Ampeln nicht so gut von grünen unterschieden werden können.
Viele Unfälle von jungen Erwachsenen am Wochenende
2017 starben zwischen 19 Uhr abends und 5 Uhr morgens 157 junge Erwachsene bei Verkehrsunfällen – das sind 39,8 Prozent aller Getöteten aus dieser Altersgruppe.
Zum Vergleich: Bei Verkehrsteilnehmern anderer Altersgruppen betrug dieser Anteil zusammengenommen 21,6 Prozent. Noch auffälliger sind die Unfallzahlen junger Erwachsener in den Nacht- und Morgenstunden der Wochenenden: Zwischen 22 und 7 Uhr kam fast jeder Sechste (16,5 Prozent) der 394 bei Verkehrsunfällen getöteten jungen Erwachsenen ums Leben, aber lediglich 6,0 Prozent der Getöteten der übrigen Altersklassen.
Aufklärung mit Gurtschlitten und Rauschbrille
Daher hat auch die Deutsche Verkehrswacht ein besonderes Augenmerk auf die Risikogruppe der 18- bis 24-jährigen Autofahrer. „Wir gehen unter anderem mit sogenannten Aktionsgeräten an Schulen, um junge Fahrer für die Gefahren zu sensibilisieren“, sagt Matthias Schiffmann vom Verkehrswacht-Landesverband Nordrhein-Westfalen.
Konkret: Es werden Simulationsgeräte eingesetzt, zum Beispiel ein Gurtschlitten, der mit zehn km/h gegen ein Hindernis prallt – um die lebensrettende Funktion eines Sicherheitsgurts eindringlich zu veranschaulichen.
Zu den Aktionsmodulen gehört auch eine Ablenkungssituation. Während einer simulierten Fahrt muss auf einem Smartphone eine Nummer eingegeben werden, während plötzlich ein Fußgänger auf dem Bildschirm auftaucht. Im Kampf gegen Selbstüberschätzung und Alkohol setzt die Verkehrswacht zudem sogenannte Rauschbrillen ein. Das sind Brillen, die durch ein eingeschränktes Blickfeld verschiedene Promillewerte simulieren und das Fahren auf einem präparierten Parcours erheblich beeinträchtigen.
Außerdem besuchen Präventionsbeamte der Polizeidirektionen pro Schuljahr rund 450 Schulen und Berufsschulen, um Jugendliche mit dem Thema zu konfrontieren und für das Problem zu sensibilisieren.
Einer darf nicht „vorglühen“
Auch Sven und seine Freunde aus Timmendorf sind an diesem Abend in der Lübecker Disco. „Zweimal im Monat kommen wir hierher, unsere eigene Disco im Ort ist vor einiger Zeit abgebrannt“, sagt der 23-Jährige.
Meist stellt sich der junge Tischler mit seinem Wagen als Chauffeur zur Verfügung. Er trinkt dann nur Wasser oder Limonade, um nüchtern zu bleiben. Dafür haben seine Freunde – in dieser Nacht sind es Maike (22), Tanja (22), Mike (23) und Zoe (20) – die „Lizenz“, Alkohol zu trinken.
Zum obligatorischen „Vorglühen“ vor der Disco hat die Clique zwei 1,5-Liter-Plastikflaschen dabei, gefüllt mit Rotwein. „Das hebt die Stimmung und ist preiswert“, sagt Tanja und lacht.
Einen Fahrer für den knapp 20 Kilometer langen Heimweg haben sie mit Sven ja. „Es ist schon gut zu wissen, dass einer von uns die Verantwortung übernimmt und auf Alkohol verzichtet“, sagt Zoe.
Dann verschwinden die Fünf im Trubel des schmucklosen Musiktempels im Gewerbegebiet am Rande der Autobahn A1.
Alkoholisiert am Steuer? Diese Strafen drohen
Da selbst geringe Alkoholmengen die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen, gilt für Führerscheinneulinge in der Probezeit und Fahrende unter 21 Jahren striktes Alkoholverbot am Steuer. Das bedeutet, dass vor und während der Fahrt keine alkoholischen Getränke zu sich genommen werden dürfen. Verstöße dagegen werden mit mindestens 250 Euro Bußgeld und einem Punkt im Flensburger Fahreignungsregister geahndet. Zudem wird die Teilnahme an einem kostenpflichtigen besonderen Aufbauseminar angeordnet. Außerdem erhöht sich die Probezeit auf vier Jahre.
Für alle Autofahrende gilt: Wer mit einem Blutalkoholspiegel von mindestens 0,3 Promille auffällig fährt und deshalb von der Polizei angehalten wird oder wenn es zu einem Unfall kommt, muss mit drei Punkten im Fahreignungsregister, Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren sowie einem Führerscheinentzug von mindestens sechs Monaten rechnen.
Ab 0,5 Promille müssen Autofahrinnen und Autofahrer auf jeden Fall mit Sanktionen rechnen. Es drohen beim ersten Verstoß über 500 Euro Bußgeld, zwei Punkte in Flensburg und ein Monat Fahrverbot. Wird die Fahrerin oder der Fahrer ein zweites Mal erwischt, kommen wieder zwei Punkte hinzu, das dann verhängte Bußgeld steigt auf über 1.000 Euro und das erneute Fahrverbot gilt für drei Monate. Beim dritten Vergehen kassiert die oder der Fahrende wieder zwei Punkte, zahlt über 1.500 Euro Bußgeld und muss die Fahrerlaubnis für drei Monate abgeben.
Ab 1,1 Promille gilt die absolute Fahruntüchtigkeit. Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu verursachen ist mit diesem Blutalkoholspiegel zehnmal höher als nüchtern. Die strafrechtlichen Konsequenzen sind von Fall zu Fall individuell zu bewerten, können aber den Entzug der Fahrerlaubnis sowie variable Geldstrafen nach Tagessätzen oder Freiheitsstrafen bedeuten. Bei Wiederholungstätern fallen alle genannten Strafen deutlich höher aus, und es kann eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet werden. Ab 1,6 Promille wird die Fahrerlaubnis entzogen und die Fahreignung muss bei einer Neuerteilung nach Entzug nachgewiesen werden.
Weiterführende Links
Informationsplattform der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Bilder: Julius Schrank/iStock/Adobe Stock