Seit einem Autounfall ist Gustav Engljähringer auf den Rollstuhl angewiesen – doch das hält ihn nicht davon ab, Autorennen zu fahren. Mit Erfolg: Als erster querschnittsgelähmter Rennfahrer weltweit holte der 46-jährige Österreicher einen Gesamtsieg in der „IES International Endurance Series“. Mit „Mission Possible – Racing with Handicap“ tritt er im Team bei 24-Stunden-Rennen an.
Mit den Händen schiebt Gustav Engljähringer seine Beine zum Einstieg seines Rennwagens. Der Wagen ist aufgebockt und der Fahrer sitzt im Rollstuhl. Deshalb dauert es länger, ehe sich der 46-Jährige in den Recaro-Rennsitz ziehen kann. Die Beine zittern bei diesem Kraftakt. Doch dann ist es geschafft.
Am Chefschreibtisch sitzt der mittelgroße, fit wirkende Mann im beigefarbenen Pulli, die wenigen Haare auf dem Kopf sind rasiert. „Mit der Dauerwelle bin ich grad noch fertig geworden“, scherzt er, und seine Augen blicken schelmisch. Gustav Engljähringer ist ein Vertreter des österreichischen „Schmähs“, den er mit der Gelassenheit eines Profi-Rennfahrers gepaart hat, was eine Mischung aus schwarzem Humor und kühler Sachlichkeit ergibt. So erzählt er auch von dem Unfall, der ihn in den Rollstuhl brachte.
Ich habe meine Beine nicht mehr gespürt.
Eng, holprig und kurvig ist die Straße, die nach Frankenburg am Hausruck führt. Eine klassische Unfallstrecke. Es war ein Autounfall, „sogar relativ unspektakulär“, sagt Engljähringer. Es passierte am frühen Abend des 18. August 1994 auf eben jener kurvigen Landstraße, zehn Kilometer von Zuhause entfernt. Schuld am Crash war ein technisches Versagen: Die Hinterachsaufhängung brach. Das Auto schlingerte in ein Bachbett und überschlug sich. Der Aufprall auf dem Dach brach den sechsten Halswirbel des damals 23-jährigen Fahrers. Er hatte nur eine Platzwunde am Kopf, war aber bei vollem Bewusstsein. „Mir war schnell klar, dass mehr passiert ist. Ich habe meine Beine nicht mehr gespürt“.
Leidenschaft, Tüftelei und Beruf miteinander verknüpft
Engljähringer ist gelernter Speditionskaufmann und leitet ein Transportunternehmen, das in Spitzenzeiten bis zu 115 Menschen beschäftigte und Filialen in Rumänien, der Slowakei und Deutschland betrieb. Das Unternehmen ist in Frankenburg kaum zu übersehen: Auf blauen Lkw-Aufliegern namens „Optispace“ prangt sein Name in gelber Schrift. Der Chef ist der Erfinder von „Optispace“, der genauso groß ist wie ein herkömmlicher Auflieger, allerdings so weit ausgeklügelt, dass 50 Europaletten auf zwei Stockwerken Platz haben. 50 Prozent mehr als im herkömmlichen Lkw, erklärt der Tüftler stolz seine Entwicklung, als er über das Betriebsgelände führt.
Was in seinen knapp vier Meter hohen „Optispace“ aber auch passt, lässt sich in Halle zwei auf dem 10.000 Quadratmeter großen Gelände begutachten: Sechs Rennfahrzeuge auf zwei Stockwerken; oder drei Rennfahrzeuge oben und darunter „Platz für Party“. Das sind die für seinen Rennsport umgebauten „Optispace“, die Engljähringer mittlerweile unter dem Markennamen „Trailertech“ in ganz Europa verkauft. Hier sind Leidenschaft, Tüftelei und Beruf miteinander verknüpft. Denn der Rollstuhl hat seine Faszination für den Rennsport nicht gebremst.
Auf der Straße hat Risikobereitschaft nichts verloren.
Geschwindigkeit ist sein Leben – auf der Rennstrecke. Als 18-Jähriger nahm er an Motorradrennen teil, war fasziniert vom Wettbewerb und den Motorengeräuschen. Als der Unfall passierte, war diese Karriere eigentlich schon abgehakt. Doch auf der Intensivstation, bewegungsunfähig und wegen der Nervenschädigung anfangs nicht einmal zum selbständigen Atmen fähig, erwachte seine Leidenschaft aufs Neue. Denn im Fernsehen lief MotoGP. Motorradrennen.
Blick nach vorn
Daran war zwar nicht mehr zu denken, aber es gibt ja auch Autos. Es folgen nun keine Erzählungen vom schweren Kampf zurück, von Hoffnungen, Enttäuschungen oder Niedergeschlagenheit. „Abgehakt“, sagt er oft, „ich bin ein Abhak-Typ“. Das bestätigt seine Lebensgefährtin Cordula Oetker: „Wenn er sieht, dass ein Weg nicht geht, geht er eben den anderen.“
Eigene Grenzen kennen
Seit gut drei Jahren führen die 42-jährige aus Karlsruhe und der Oberösterreicher eine Fernbeziehung. Sie hat keine Angst, wenn ihr Partner Rennen fährt, denn „er kennt seine Grenzen“. Sie beschreibt ihn als umsichtigen Fahrer. „An die Grenzen“, ergänzt der Rollstuhlfahrer, „kann man auf der Rennstrecke gehen.“ Im wirklichen Leben, also auf der Straße, sieht das ganz anders aus. Ob im Pkw oder im für ihn umgerüsteten Speditions-Lkw, den er im Notfall oder „als Hobby“ steuert, gilt: „Auf der Straße hat Risikobereitschaft nichts verloren.“
Lizenz mit Gesundheitscheck
Gustav Engljähringer streift sich seinen blauen Daunenanorak über und rollt zum Anbau der Garage. Hier zieht Cordula Oetker die grüne Schutzhülle vom V8-Star Jaguar, mit dem Engljähringer 2012 einen großen Erfolg eingefahren hat.
Ich bin ein Abhak-Typ.
2007 entdeckte Gustav Engljähringer durch einen Freund auf dem Salzburg-Ring die Möglichkeit, wieder auf die Rennstrecke zu gehen. In Wien fand sich ein Tourenwagen, der an die Bedürfnisse des Fahrers angepasst wurde. Dann fehlte „nur“ noch die Lizenz mit Gesundheitscheck: „Dazu braucht’s zwei funktionsfähige Arme und Beine – und da hakt’s“, sagt Engeljähringer und zeigt auf seine leblosen Beine.
In Monza auf dem Treppchen
Der Sportler im Rennwagen überzeugte damals dennoch mit Technik und seinem Geschick, bekam die Lizenz und jubelte schon im zweiten Rennjahr über einen dritten Platz bei einem Rennen in Monza. Allerdings sollte es für die Spitze nicht reichen. Am Ende kann ein „Nichtbehinderter“ eben doch beide Hände am Steuer lassen, während Engljähringer dafür nur die Linke bleibt. Seine Rechte liegt am Schaltgriff, gibt Gas, kuppelt, schaltet und bremst.
Abhaken: 2010 wurde alles verkauft — der Anhänger, das Auto, alles. Jedoch war die Leere in der Garage „extrem breit“, beschreibt Engljähringer heute den Zustand, der sich schließlich in seinem Inneren fortsetzte. Die nächste Herausforderung musste her. Schon zwei Jahre später fuhr er mit einem knallgrünen V8 Star-Jaguar den furiosen Gesamtsieg beim Histo-Cup ein.
Rennfahrerteam aus Rollstuhlfahrern
„Mission Possible – Racing with Handicap“ ist ein anderes erfolgreiches Baby des Rennfahrers. Zusammen mit Rainer Küschall, einem Schweizer Rollstuhl-Leichtbau-Entwickler, gründete Engljähringer 2011 das erste Rennfahrer-Team ausschließlich mit Rollstuhlfahrern.
Im Mai 2014 freuten sich Engljähringer und seine Kollegen aus Deutschland, Holland, Polen und der Schweiz über einen guten Mittelfeldplatz bei einem 12-Stunden-Rennen im holländischen Zandvoort.
Wir waren die erste komplette Rollstuhlfahrermannschaft beim 24-Stunden-Rennen in Dubai.
Ein Jahr später, im Januar 2015, trat mit dem neu zusammengesetzten „Mission Possible“-Team nicht nur zum ersten Mal eine komplette Rollstuhlfahrermannschaft beim 24-Stunden-Rennen von Dubai an. Die Rennfahrer stahlen am Ende mit ihrem fünften Platz der Konkurrenz die Show. Am Ende dieser Rennserie knallten für Gustav Engljähringer die Korken, nachdem er als Einzelstarter die vier europäischen Rennen der IES Endurance Series so erfolgreich bestritt, dass er am Ende Champion wurde. Noch nie zuvor hatte ein Fahrer mit Handicap eine internationale Rennserie gewonnen.
Keine Träume, sondern Ziele
Ein Mann wie Gustav Engljähringer hat keine Träume, sondern Ziele. Als nächstes nimmt er eine Medaille bei den Paralympics in Peking 2020 ins Visier, wofür er sich mit dem Rennbob qualifizieren will. Tests sind jedenfalls schon geplant. Nebenbei ist er auch noch österreichischer Staatsmeister im Rollstuhl-Rugby.
Ich fokussiere, weil ich viel weiter nach vorne denken muss als andere.
Nichtstun und Langsamkeit – nichts für Gustav Engljähringer. Er ist ein Getriebener. Die Akribie, mit der er heute an Aufgaben herangeht, führt er auf sein Handicap zurück. „Ich fokussiere, weil ich in meiner Situation viel weiter nach vorne denken muss als andere“, erklärt er. Es ist das einzige Mal, dass er im Gespräch sein Handicap als solches beschreibt. Er plant jeden Schritt, um vorher zu wissen, „welche Hindernisse sich auftun könnten.“ Das gilt für den Weg zum Restaurant genauso wie für die Rennstrecke und den täglichen Straßenverkehr: „Ich fahre sehr vorausschauend.“
Im Kellerraum seines Hauses steht etwas ganz Besonderes: ein Rennsimulator. Hier kann der Rennfahrer anspruchsvolle Kurse dieser Welt „abfahren“. Oder er kann „abheben“. Der Simulator hat auch ein Flugprogramm. Gustav Engljähringer trainiert für den Flugschein – sein nächstes Ziel.
Fotos: Julius Schrank