Blaulicht und Martinshorn sollen dafür sorgen, dass Rettungskräfte wie Feuerwehr, Notarzt und Polizei schneller zum Einsatzort kommen, denn oft zählt jede Sekunde. Doch immer wieder werden die Helfer dabei von anderen Verkehrsteilnehmern behindert und im schlimmsten Fall selbst in Unfälle verwickelt. Viele Autofahrer wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn Rettungskräfte mit Blaulicht und Martinshorn anrücken.
Viele Autofahrer geraten in Panik
Es ist kurz nach 15 Uhr, als der Alarm in der Feuer- und Rettungswache „Berliner Tor“ Zugführer Andreas Bock und zehn Frauen und Männer seines 34-köpfigen Teams hochschrecken lässt: Brandmeldealarm in einem Hotel, nur 1,2 Kilometer entfernt. Innerhalb von Sekunden sind ein Löschfahrzeug, eine Drehleiter sowie das Fahrzeug des Zugführers bereit und verlassen unter Blaulicht und Martinshorn die Wache. Ein weiteres Löschfahrzeug rückt zeitgleich von der Wache „Innenstadt“ aus. Der einsetzende Berufsverkehr blockiert die Straße an der ersten roten Ampel.
Viele Autofahrer geraten in Panik, wenn sie Martinshorn und Blaulicht wahrnehmen – und handeln entweder gar nicht oder falsch. Lars Lorenzen, stellvertretender Zugführer: „Wir mussten uns auch schon selbst hinters Steuer setzen und das blockierende Fahrzeug zur Seite fahren, weil der Autofahrer mit der Situation total überfordert war.“ Dabei ist die Lösung ganz einfach: Ruhe bewahren, gucken, was andere Verkehrsteilnehmer und die Rettungskräfte machen, sich daran orientieren und dementsprechend handeln. Eine rote Ampel darf man missachten, um Einsatzfahrzeugen den Weg freizumachen. Natürlich nur, wenn dadurch niemand gefährdet wird. Also sehr langsam in den Kreuzungsbereich hineinfahren und sich davon überzeugen, dass der querende und abbiegende Verkehr einen sieht und stoppt.
„Im Notfall muss der Weg sofort freigemacht werden.“
Das tägliche Ärgernis vor allem im Berufsverkehr: zugestellte Kreuzungen, nichts bewegt sich, kein Durchkommen für die Rettungskräfte. Lösung: Abstand zum Vordermann halten, v.a. auch im Stau. Dann bleibt Platz zum Rangieren, falls Rettungsfahrzeuge kommen. Außerdem nicht in verstopfte Kreuzungen einfahren, sondern erst den Verkehr abfließen lassen. Von dieser Regel muss im Notfall abgewichen werden, wenn nur auf diese Weise der Weg für Einsatzfahrzeuge frei gemacht werden kann. „Autofahrer trauen sich oft nicht, bei Rotlicht in eine Kreuzung einzufahren, um uns durchzulassen“, erklärt Andreas Bock. „Wenn wir mit Blaulicht und Martinshorn kommen, handelt es sich um einen Notfall. Dann muss der Weg sofort freigemacht werden.“ Natürlich nur, wenn niemand gefährdet wird. Also im Bedarfsfall umsichtig und langsam in die Kreuzung einfahren und am Fahrbahnrand halten. „Und gern auch so weit, dass wir mit unseren großen Fahrzeugen durchkommen“, ergänzt Bock.
„Rettungsgasse“ funktioniert auch in der Stadt
In der Stadt ist die Bildung der Rettungsgasse nicht vorgeschrieben. Aber auch hier gilt: Nähern sich Fahrzeuge mit blauem Blinklicht und Einsatzhorn, haben alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen. „Auch in der Stadt ist die Bildung einer Gasse in der Regel problemlos möglich“, erklärt Bock. „Aber bitte niemals in den Gegenverkehr fahren. Von vorn werden wir viel leichter wahrgenommen als von hinten“, so Bock. „Deshalb weichen wir häufig selbst in den Gegenverkehr aus.“
So bildet man eine Rettungsgasse
Sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf mehrspurigen Außerortsstraßen höchstens noch mit Schrittgeschwindigkeit fahren, müssen diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen eine freie Gasse bilden. Dabei gilt auf Straßen mit zwei Fahrstreifen für eine Richtung: Wer auf der linken Spur fährt, manövriert seinen Wagen so weit wie möglich nach links, wer auf dem rechten Fahrstreifen unterwegs ist, so weit es geht nach rechts. Bei mehr als zwei Fahrstreifen für eine Richtung lenken Fahrer auf der äußersten linken Spur ihren Pkw nach links, alle anderen – ohne benachbarte Fahrzeuge zu gefährden – nach rechts. Den Standstreifen muss man in der Regel freihalten. Er ist ausschließlich für Pannen gedacht. Auf ihn darf allenfalls ganz kurz und soweit ohne Gefährdung möglich ausgewichen werden, um unmittelbar einen Einsatzwagen vorbei zu lassen. Die Rettungsgasse muss so lange aufrechterhalten werden, bis der Verkehr wieder schneller als Schrittgeschwindigkeit fließt.
Hören und sehen
„Ein großes Problem ist, dass uns viele Verkehrsteilnehmer erst sehr spät oder überhaupt nicht wahrnehmen“, sagt Bock. Ein Grund: Autos werden immer komfortabler – und besser gegen Geräusche gedämmt. Darum hören viele Autofahrer das Martinshorn gar nicht. Weiteres Problem vor allem im zähfließenden Verkehr: Viele Autofahrer greifen dann verbotenerweise zum Smartphone und checken Nachrichten, andere hören laut Musik, sind dadurch ebenfalls abgelenkt. Der stellvertretende Zugführer Lorenzen: „Leider trifft diese Art der Ablenkung sogar schon auf Fußgänger zu. Neulich erst ist uns eine Passantin aufs Smartphone starrend zwischen parkenden Autos voll vor das Löschfahrzeug gelaufen. Zum Glück waren wir nur mit Schritttempo unterwegs.“ Ein zunehmendes Problem sind auch Radfahrer und Fußgänger, die mit Kopfhörern laute Musik hören.
Gefährliche Hindernisse: Gedankenlos abgestellte Fahrzeuge
Der Einsatz in dem Hamburger Hotel stellt sich als ein Fehlalarm heraus: Hotelgäste haben es sich in einem Zimmer gemütlich gemacht und ihre E-Zigaretten geraucht. Dabei hat der Rauchmelder sofort einen Alarm in die verbundene Rettungsleitstelle ausgelöst. „Im Ernstfall zahlen Geschädigte natürlich nicht für Rettungseinsätze. Aber in so einem Fall schicken wir dem Hotel eine Rechnung. Und die wird es wohl an die Gäste weiterreichen“, ist sich Lars Lorenzen sicher.
Zurück zur Wache geht es ohne Blaulicht und Martinshorn. Während der Fahrt weist Hauptbrandmeister John Patrick auf ein weiteres Problem hin: Falschparker in engen Wohnstraßen: „Da, wo dann ein normaler Pkw gerade noch durchkommt, bleiben wir mit unseren zweieinhalb Meter breiten und bis zu zehn Meter langen Löschfahrzeugen hängen.“ Durch Autos, die auf Sperrflächen oder zu nahe an Kreuzungen stehen, können die großen Feuerwehrfahrzeuge nicht in Nebenstraßen abbiegen. Oder bei Drehleitern können deshalb die notwendigen Stützen nicht ausgefahren werden.
Gaffer behindern Rettungseinsätze
Sind die Retter dann vor Ort, werden sie häufig durch Gaffer behindert. „Bei einem Einsatz ist mir sogar schon einmal ein junger Mann in den RTW gestiegen, um ein besseres Handyvideo von einem Verletzten zu machen, den wir gerade im Wagen behandelt haben“, erzählt Feuerwehrmann Iburg entsetzt. „Die kennen keine Scham und behindern uns bei der Arbeit. Manche Verkehrsteilnehmer beschimpfen uns auch – nur weil sie mal eine halbe Stunde nicht weiterkommen.“ Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will, macht sich strafbar und wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
Blaulicht und Martinshorn
Sind Blaulicht und Martinshorn Freifahrtscheine für rasende Einsatzkräfte? Nein, solche Fahrten sind in § 38 StVO festgelegt. Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten. Das unbefugte Nutzen von Sondersignalen kann möglicherweise den Tatbestand einer Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB erfüllen. Als Rechtsfolge sieht dieser Paragraf eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahre oder Geldstrafe vor. Fahrer von Blaulichtfahrzeugen haben zudem eine spezielle Schulung für Einsatzfahrten absolviert. In der Regel fahren Rettungswagen in der Stadt jedoch selten schneller als 65 km/h, da das Risiko eines Unfalls sonst viel zu groß ist.
Blaues Blinklicht allein darf nur von den damit ausgerüsteten Fahrzeugen und nur zur Warnung an Unfall- oder sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei der Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen Verbänden verwendet werden (Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdiensten, Polizei, auch Zivilfahndung).
Wer nicht zu diesem Personenkreis gehört und mit Blaulicht auf seinem Autodach fährt, kann für diesen Verstoß mit 20 Euro verwarnt werden. Zusätzlich kann das Blaulicht eingezogen werden.
Weiterführende Links
Rettungsgasse innerorts richtig bilden
RvG-Broschüre „Richtiges Verhalten am Unfallort“
Fotos: Lucas Wahl, Feuerwehr HH, Waldeck