„Eine Ablenkung zu ignorieren, ist einer der energieaufwändigsten Prozesse im Gehirn.“
Pireeni Sundaralingam ist eine preisgekrönte Neurowissenschaftlerin, die in Oxford und am Massachusetts Institute of Technology ausgebildet wurde. Sie war Forschungsleiterin des Center for Humane Technology im Silicon Valley und ist Gründerin und Geschäftsführerin von Neuro-Resilience Consulting.
In dem Film „No Answer" sehen wir eine Autofahrerin, die etwas tut, was eigentlich die Regel sein sollte: Sie ist während des Fahrens telefonisch nicht erreichbar. Warum ist es für unser Gehirn so schwer, das Handy zu ignorieren?
Es ist für unser Gehirn einfach anstrengend. Wir müssen dazu den präfrontalen Kortex aktivieren, also den Bereich des Gehirns, der unsere Handlungen steuert und der überproportional viel Glukose und Sauerstoff verbraucht. Eine Ablenkung zu ignorieren, ist einer der energieaufwändigsten Prozesse im Gehirn.
Was bedeutet es für unsere Aufmerksamkeit, wenn wir doch nachgeben und während der Fahrt zum Handy greifen?
Das menschliche Gehirn ist so verdrahtet, dass es nur wenigen Dingen gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken kann. Es ist wie ein Scheinwerfer, der nur einen begrenzten Teil der Bühne beleuchten kann. Wenn wir beim Autofahren aufs Handy schauen, nehmen wir die Straße vor uns weniger bewusst wahr. Untersuchungen zeigen, dass 80 Prozent der Autounfälle innerhalb von drei Sekunden nach einer Ablenkung passieren. Im Vergleich zu fokussierten Autofahrenden können Fahrende, die während der Fahrt mit dem Handy telefonieren, 50 Prozent der visuellen Informationen in ihrer Umgebung nicht wahrnehmen. Es ist geradezu tragisch, dass sich die meisten Menschen nicht bewusst sind, wie sehr sich ihre Fahrleistung verschlechtert, wenn sie abgelenkt sind.
Macht es einen Unterschied, ob mein Handy einen Anruf ankündigt oder neue Botschaften bei Instagram?
Benachrichtigungen in sozialen Medien können aus mehreren Gründen noch ablenkender sein als ein Telefonanruf. Erstens: Wenn Sie diese ignorieren, sehen viele Nutzende, dass ihre Antwort ausbleibt und es kann schwer sein, dem zu widerstehen. Zweitens sind unsere Gehirne evolutionär so verdrahtet, dass sie nach sozialen Signalen Ausschau halten – nach Veränderungen unseres sozialen Status. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel durch die Anzahl der Likes oder der negativen Kommentare viel stärker abgelenkt werden. Drittens nehmen die Algorithmen der sozialen Medien negative emotionale Botschaften eher auf als positive und verbreiten diese. Folglich lösen Benachrichtigungen automatisch eine verstärkte Stressreaktion in unserem Körper aus und aktivieren unser „Bedrohungsgehirn“.
Was heißt das konkret für eine Autofahrt?
Es ist ganz einfach: Jedes Mal, wenn Sie während der Fahrt an Ihr Telefon gehen, setzen Sie Menschenleben aufs Spiel, auch Ihr eigenes. Schalten Sie also Ihr Telefon aus und halten Sie es außer Sichtweite.
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