In ihrer Praxis beschäftigt sich Diplom-Psychologin Susanne Laumeyer mit den „Härtefällen“ der Straße: den sogenannten notorischen Rasern und Dränglern. Im Interview erklärt die Verkehrstherapeutin, was diese Temposünder antreibt und wie man ihnen am besten helfen kann.
Frau Laumeyer, wie würden Sie typische Raser beschreiben?
Typische Raser sind für mich Verkehrsteilnehmer, die völlig rücksichtslos fahren und auch in 30er-Zonen viel zu schnell unterwegs sind. Ihnen sind die Regeln total egal. Das zeigt sich daran, dass sie zum Beispiel an Stadtrennen teilnehmen.
Für einige Menschen scheint Rasen und Drängeln im Straßenverkehr „normal“ zu sein. Wie kommt das?
Das hängt mit unterschiedlichen Motiven zusammen. Einige Raser verhalten sich im Leben zum Beispiel sehr angepasst und nehmen es sich dann auf der Straße heraus, Grenzen zu überschreiten. Andere – darunter viele Geschäftsleute – setzen sich selbst unheimlich unter Druck: Sie machen alles auf einmal, benutzen ihr Auto als Büro und wollen möglichst schnell von A nach B kommen. Dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die oft mit Selbstwertproblemen zu kämpfen hat. Dieses Gefühl versuchen sie auf der Straße zu kompensieren. Eines haben alle drei gemeinsam: Sie verdrängen, wie gefährlich ihr Verhalten ist.
Sind es eher äußere Einflüsse, wie etwa Druck im Beruf, oder Charakterzüge, die jemanden zum regelmäßigen Verkehrssünder machen?
Es ist immer beides. Von außen wird Stress an die Verkehrsteilnehmer herangetragen: Der Chef macht Druck, ein Kunde ruft an, der Zeitplan ist zu knapp. Von innen wirken andere Faktoren: Man setzt sich keine Grenzen, traut sich nicht, zu widersprechen, erlaubt sich nicht, zu spät zu kommen.
Wann gilt man für Sie als notorischer Raser beziehungsweise als notorische Raserin?
Als notorische Raser gelten Leute, die ihr Fehlverhalten nicht erkennen und nicht einsehen wollen, dass auch sie sich an die Straßenverkehrsregeln halten müssen. Sie nehmen keine Rücksicht und sind wenig reflektiert. 97 Prozent der notorischen Raser, die in meine Praxis kommen, sind männlich.
Fühlen sich notorische Raser oder Drängler schuldig?
Nein. Sie haben meist eine Sichtweise, bei der es darum geht, die eigenen Interessen durchzusetzen.
Haben Sie persönlich das Gefühl, dass immer mehr Menschen rasen und drängeln?
Ja, diesen Eindruck habe ich. Ich glaube, dass das mit dem Druck in unserer Gesellschaft zusammenhängt. Der berufliche Druck ist so immens, dass viele gar nicht mehr damit umgehen können und nicht mehr zur Ruhe kommen. Eine Entschleunigung der Gesellschaft würde der Sicherheit im Straßenverkehr guttun.
2013 kam es aufgrund von unangepasster Geschwindigkeit zu 45.373 Unfällen mit Personenschaden. Dabei wurden 61.288 Menschen verletzt und 971 kamen ums Leben. Wie reagieren Raser, wenn sie mit solchen Zahlen konfrontiert werden?
Raser reagieren wie Raucher. Konfrontieren Sie einen Raucher mit den Lungenkrebs-Zahlen und er wird Ihnen sagen: „Das trifft mich schon nicht.“ Die Folgen ihres Handelns halten Raucher von sich fern. Ähnlich argumentieren auch Raser, wenn sie sagen, dass sie alles unter Kontrolle hätten.
2013 kam es aufgrund von unangepasster Geschwindigkeit zu 45.373 Unfällen mit Personenschaden. 61.288 Menschen wurden verletzt und 971 kamen ums Leben.
Sind Raser „heilbar“?
Wir können ihnen helfen, ihr Verhalten auf der Straße zu ändern. Viele von ihnen werden einsichtig, wenn ihr Führerschein in Gefahr ist – oder sie ihn schon verloren haben. Als Beifahrer bekommen sie eine andere Sicht auf die Dinge und beginnen, ihr Verhalten zu hinterfragen. Das ist unsere Chance, mit ihnen daran zu arbeiten, besser mit äußeren und inneren Einflüssen umzugehen, ihr Verhalten mit all seinen Konsequenzen besser zu reflektieren und gesetzeskonform zu fahren.
Wie helfen Sie notorischen Rasern und Dränglern?
Ich frage sie zum Beispiel, was sie ändern würden, wenn sie die Straßenverkehrsregeln bestimmen könnten. Dann kommt ein Denkprozess in Gang und sie erkennen: Die Verkehrsregeln müssen sinnvoll für alle Verkehrsteilnehmer sein.
Eine Entschleunigung der Gesellschaft würde der Sicherheit im Straßenverkehr guttun.
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