Menschen mit Fahrphobie haben einen ständigen Begleiter im Auto: die Angst. Im Interview mit „Runter vom Gas“ erklärt die Diplompsychologin und Fahrlehrerin Alexandra Bärike, wie man lernen kann, mit ihr zurechtzukommen.
Frau Bärike, welche Ursachen gibt es für eine Fahrangst?
Ich unterscheide zwischen zwei Gruppen: Die eine ist vor der Angst sehr gerne gefahren, hat dann aber eine Fahrphobie entwickelt, die in vielen Fällen durch Dauerstress hervorgerufen wird. Die andere Gruppe hat schlechte Erfahrungen gemacht und sich noch nie gerne hinters Steuer gesetzt. Zum Beispiel, weil Eltern zur übertriebener Vorsicht gemahnt haben oder es im privaten Umfeld zu tödlichen Unfällen gekommen ist.
Wie äußert sich die Fahrangst im Auto?
Sie äußert sich durch eine psychische Reaktion, also durch ein Angstgefühl, das mit Unruhe beginnt und zur Panik anwachsen kann. In der Folge kommt es meist zu Fluchtgedanken. Wo kann ich abbiegen, wo kann ich anhalten, wie kann ich der Angstsituation entgehen? Das sind typische Fragen, die sich Betroffene stellen. In solchen Fällen reagieren sie mit starken Stressreaktionen: Die Hände schwitzen, der Körper zittert, die Atmung verändert sich. Zudem kann es zu einem Tunnelblick oder einer verschwommenen Sicht kommen.
Sind diese Symptome auf das Fahren beschränkt?
Viele Leute haben bereits eine Erwartungsangst, bleiben schlaflos, wenn sie am nächsten Tag fahren sollen. Bei anderen kommt die Panik erst in speziellen Situationen – unter anderem wenn sie sich einer Autobahn oder Brücke nähern.
Es wirken also auch andere Ängste in die Fahrphobie hinein?
Ja, so gibt es keine ausgeprägte Brückenangst ohne eine starke Höhenangst. Es beginnt beispielsweise damit, dass die Leute nicht mehr gerne Sessellift fahren oder Aussichtsplattformen meiden. Diese Höhenangst besteht dann oft über Jahre oder Jahrzehnte und kann sich irgendwann auch aufs Autofahren auswirken. Generell breiten sich Ängste aus wie eine Krake. Und wer eine Angst vermeidet, läuft Gefahr, dass sie auf andere Situationen überspringt. Aus der Furcht vor Aussichtsplattformen kann so später eine Brückenangst werden.
Sind bestimmte Menschen anfälliger für Fahrängste?
Wenn es bei Personen bereits unbehandelte Ängste gibt, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie auch eine Fahrphobie bekommen. Darüber hinaus kommen oft sehr perfektionistische Menschen zu mir. Sie haben ein Problem damit, dass sie nicht alles hundertprozentig können. Ich arbeite öfter mit Frauen, die nicht bereit sind, Erfahrungen hinterm Steuer zu sammeln. Sie wollen erst fahren, wenn sie alles perfekt können. Das funktioniert nicht.
Sie sprechen die Geschlechter an. Nehmen Sie in Ihrer täglichen Arbeit Unterschiede wahr?
Unter den Menschen mit Panikattacke, die zu mir kommen, sind mehr Frauen. Das entspricht dann ungefähr der gesellschaftlichen Angstverteilung. Laut psychologischen Studien sind Frauen anfälliger für Ängste. In der Gruppe mit grundlegender Problematik sind dann fast ausschließlich Frauen.
Wie verhalte ich mich als Beifahrer, wenn ich von der Fahrphobie des Fahrers weiß?
Vermitteln Sie Sicherheit und reagieren Sie positiv auf die Fahrleistung. Fragen Sie vor Fahrtbeginn, was der Fahrer braucht. Leichte Gespräche helfen genauso wie das Weisen des Weges. Oder sie behalten beim Linksabbiegen den Gegenverkehr im Auge, das hilft auch. Kommt es auf der Autobahn zu einer Panikattacke, ist vor allem Beruhigung gefragt. Eine ruhige Stimme hilft immer.
Was kann man gegen seine Fahrphobie machen?
Zunächst geht es darum, sich mit der Angst zu beschäftigen, sie zu verstehen. Woher kommt sie? Kann ich sie rational erklären? Dann gilt: sich mit machbaren Schritten mit der Angst zu konfrontieren. Nehmen Sie sich einen verständnisvollen Beifahrer und ein Auto, mit dem sie sich sicher fühlen. Suchen sie sich eine ruhige Gegend oder einen Verkehrsübungsplatz und wählen sie sich eine gute Tageszeit. So gelingen die ersten Runden. Danach steigern Sie sich Stück für Stück.
Und wie nähern sich Menschen mit Panikattacke dem Problem?
Vor allem müssen sie ihr Stressmanagement überdenken. Wenn ich mir jede halbe Stunde eine Zigarette anstecke, Magen-Darm-Probleme habe und nachts nicht schlafe, dann fange ich mit Atementspannung an oder melde mich bei einem Qigong-Kurs an. Erst danach macht das Konfrontationstraining im Auto überhaupt Sinn. Und wenn Menschen merken, dass sie mit der Lösung des Problems alleine nicht weiterkommen, dann kann man sich an Fahrlehrer und Psychologen wenden, die sich auf Fahrängste spezialisiert haben. Bei starker Fahrphobie bietet sich eine kognitive Verhaltenstherapie an, die von den Krankenkassen übernommen wird. Die Kassenärztliche Vereinigung des jeweiligen Bundeslandes informiert über freie Therapieplätze.
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